Katalogbeitrag für die Ausstellung „Neue Heimat“
erschienen im Herbst 2007, herausgegeben von der Berlinischen Galerie, Berlin, Kerber-Verlag


Michael Sailstorfer, Panzer (2007)

Es liegt nahe, Michael Sailstorfer in eine Ausstellung, die sich dem Thema Heimat und Behausung widmet, einzubeziehen. Die Vorstellung eines Ortes, der dem Individuum den Rückzug aus der vom Mobilitätsgedanken getriebenen Gesellschaft liefert, ist ein wiederkehrendes Thema in seiner künstlerischen Arbeit.

Für Heimatlied (2001) zum Beispiel hat der Künstler vier Wohnwagen demontiert, diese zu einem einzigen Haus zusammengebaut und in die hügelige Landschaft nahe seinem bayerischen Geburtsort gestellt. Für Wohnen mit Verkehrsanbindung (2001) richtete er vier Bushaltestellenhäuschen in süddeutschen Ortschaften mit Bett, Tisch, Stuhl, Spüle, Regal, Lampe und Toilette ein – eine Skulptur gewordene Metapher für das endlose Warten vieler Dorfbewohner auf den Bus. Für D-IBRB
(2002) wiederum verwandelte Sailstorfer ein Segelflugzeug in ein Baumhaus. Wie der halluzinierte Unterschlupf eines Bruchpiloten sitzt es im Geäst einer Buche.

Sailstorfers Arbeit Panzer (2007), die er in der Berlinischen Galerie erstmalig ausstellt, geht hingegen jede Form von Heimeligkeit ab. Der Künstler zeigt die aus Planenmaterial gefertigte, aufblasbare Attrappe eines russischen T72 Panzers. Solche 1:1 Nachbildungen von Kettenfahrzeugen werden in China hergestellt. Das Militär (auch die Bundswehr) nutzt sie für strategische Verwirrspiele in simulierten oder realen Kriegssituationen.

Die Panzer sind mit einer Technik ausgestattet, die Motorengeräusche nachahmt und Wärme erzeugt. Dadurch können sie auf feindlichen Infrarotbildschirmen geortet werden. Die Attrappen dienen als Lockvögel für Fliegerbomben, denen sie vergleichsweise kostengünstiges Kriegsfutter liefern.

Sailstorfer hat alle technischen Finessen seines Panzers entfernt und die ausgeweidete Hülle an ein Gebläse angeschlossen, das Luft einpumpt bzw. absaugt. Im Rhythmus endlos ausgedehnter Atemzüge lässt er das Gebilde bis zur vollen Größe anschwellen und wieder in sich zusammen fallen. Die Skulptur beginnt ein Eigenleben zu führen. Dehnt sie sich aus, nimmt sie den Raum in Beschlag und rückt dem Betrachter unangenehm nahe, was beklemmend wirkt. Entweicht die Luft, schrumpft das Bedrohliche.

Panzer, sagt Sailstorfer, solle im Kontext der Ausstellung „Neue Heimat“ ein Feld eröffnen, das die Vorstellung vom behüteten Eigenheim zerschlägt. Denn der Begriff Heimat bleibt für den Bayern immer auch ein Reizwort mit nationalistischem Beigeschmack. „Heimat, das klingt danach, sich auszubreiten und Lebensraum in Beschlag zu nehmen.“

Dass, anders herum gedacht, auch die provinzielle Gemütlichkeit, in die sich der mündige Bürger gerne zurückzieht, angreifbar und instabil ist, lässt Sailstorfer die Bewohner der ostwestfälischen Kleinstadt Herfort tagtäglich spüren. Auf ihrem Weg von zur Arbeit müssen sie seine Skulptur Hoher Besuch (2005) passieren: Ein schwarz lackierter Militärhubschrauber, den der Künstler auf einem Stromhäuschen neben dem MARTa Museum in Herfort platziert hat.

Mit spiegelverglasten Sichtschutzscheiben und einem fast geräuschlos rotierenden Drehflügel wirkt das Fluggerät wie die Vorhut eines Unheils, das in
Kürze über die Stadt hereinbrechen wird. Das Kunstwerk suggeriert die unterschwellige Bedrohung einer unbestimmten Weltmacht und stört das Gefühl, sich in einer gesicherten Zone zu bewegen.

Im Zusammenhang betrachtet verweisen Sailstorfers Arbeiten auf die Ambivalenz des Heimatbegriffs. Seine aus Fortbewegungsmitteln montierten Hauskonstruktionen erzeugen Bilder für das Bedürfnis, den Fluss der Dinge anzuhalten und sich in die Geborgenheit einer Hütte zurückzuziehen. Auf dem freien Land, weitab von Städten platziert, werden sie zu imaginierten Sehnsuchtsorten.

Panzer und Militärhubschrauber hingegen betonen die Grenzen der heimatlichen Idylle. Ob als ein von Außen bedrohter Raum, oder als die sich in Erinnerungen verfestigende Vorstellung von Kindheit und Herkunft - „Heimat“ ist ohne
Grenzen nicht denkbar. Und je mehr die ganze Welt potentiell Heimat ist, desto mehr erfordert „Heimat“ die bewusste Abgrenzung.

ISABEL HEMPEL

Isabel Hempel ist Kunsthistorikerin und Kunstpädagogin M.A. und lebt als freie Journalistin in Berlin.